Der 1. Mai, die Solidarität und die Corona-Krise

Veröffentlicht am 30.04.2020 in Bundespolitik

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Erstmals seit ewigen Zeiten darf man voraussichtlich nicht mehr demonstrieren und keine Feste in großen Gruppen feiern. Dafür wird der 1. Mai mit einem   Begriff in Verbindung gebracht, der dieser Tage inflationär benutzt wird: der Solidarität. Das Motto für den 1. Mai 2015 lautete:   „Für gute Arbeit, Ge­rech­tig­keit und Solidarität“. In Corona-Zeiten klingt das so: Solidarität heißt in diesem Jahr: „Abstand halten!". Das ist die Absage der Feiern zum 1. Mai 2020 durch die Gewerkschaften. Beruhigend das gewerkschaftliche Motto: "Solidarisch ist man nicht alleine!" Ein kleiner historischer Rückblick sei erlaubt, zumal wir dieses Jahr den 130 Jahrestag des 1. Mai feiern bzw. eher gedenken. 

Der Ursprung für diesen gesetzlichen Feiertag liegt in einem Akt der Solidarität mit den Toten des  „Moving Day“  im Mai 1886 beim Haymarket Riot in Detroit, die damals bei einem ersten großen Generalstreik für bessere Arbeits- und Lohnbedingungen gestorben sind. Den 1. Mai  bestimmten zuerst die amerikanischen Gewerkschaften als Tag der Demonstration für den 8-Stunden-Arbeitstag. Zum 100. Jahrestag des Sturms auf die Bastille trafen sich am 14. Juli 1889 400 Delegierte sozialistischer Parteien und Gewerkschaften aus zahlreichen Ländern zu einem internationalen Kongress in Paris. Hier wurde beschlossen, den 1. Mai 1890 erstmals als Tag der internationalen Manifestation der Arbeiterschaft zu begehen. Am 1. Mai 1890 kamen in Deutschland mehr als 100.000 Menschen zur Demonstration zusammen, trotz dem Versammlungsverbot gemäß geltendem „Sozialistengesetz“. In der Weimarer Republik wurde der 1. Mai erstmals gesetzlicher Feiertag in Deutschland – allerdings nur für das Jahr 1919, danach aufgrund des Widerstands der bürgerlichen Parteien nicht mehr. Mussolini und Franco verboten den Tag als Gedenk- und Feiertag, während Hitler ihn für seine eigenen propagandistischen Zwecke nutzte: er machte daraus den „Tag der nationalen Arbeit“. Sowohl bei Staatsgründung der BRD als auch der DDR wurde er in beiden Staaten zu einem gesetzlichen Feiertag und zum Tag der Arbeit gemacht. Seitdem hat sich der Schwerpunkt seiner Bedeutung und Orientierung verschoben. In der DDR wurde der 1. Mai zur Darstellung des überlegenen Systems genutzt und ab 1956 mit Militärparaden garniert. In der BRD mischten seit den 70er Jahren auch neue soziale Bewegungen bei den Maifeiern mit, manchmal auch als Chaoten bezeichnet. Danach fanden viele Maifeiern nur noch in geschlossenen Räumen statt.

Später verloren die Gewerkschaften bei den Maifeiern immer mehr Rückhalt in der Bevölkerung, sie gingen zunehmend in Stadtteilfeste oder ähnliche Vergnügungen ein: der 1.Mai war zum Volksfest für die Familie geworden. Den 1. Mai 2000 nahm der DGB zum Anlass, an die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu erinnern und einzufordern, dass ihr ein höherer Stellenwert als dem Shareholder-Value eingeräumt wird, 2015 ging es „Gute Arbeit, Gerechtigkeit und Solidarität“. Solidarität ist ein Grundwert sozialdemokratischen Denkens und Handelns. Es ist ein Grundprinzip des menschlichen Zusammenlebens, ein Gefühl von Individuen und Gruppen, zusammenzugehören. Dies äußert sich in gegenseitiger Hilfe und dem Eintreten füreinander.   Der öffentliche Applaus für Helfer, die hohe Bereitschaft, sich im Rahmen von Nachbarschaftshilfe als Einkäufer zur Verfügung zu stellen, das Einstellen von Kerzen ins Fenster, das Nähen von Masken - all das sind positive Beispiele symbolischer oder praktischer Solidarität. Das hässliche Gesicht fehlender Solidarität kann man auch feststellen: Hamsterkäufe mit dem Ziel, eine Klopapierrolle über ebay zu Wucherpreisen zu verkaufen. Corona-Parties, die ganz bewusst das Gefährdungs- und Verbreitungsrisiko in die Höhe treiben. Solidarität des Einzelnen zeigt sich auch darin, wie bereitwillig er sich den sehr weitgehenden Beschränkungen des Alltagslebens unterwirft, die von den Regierungen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus veranlasst werden. In normalen Zeiten hätten wir alle große Probleme mit diesen Regelungen, und wir müssen uns fragen, wie lange solche Eingriffe in Bürgerrechte gerechtfertigt sind. Und vor allem werden wir darauf achten, dass diese Maßnahmen nach der Bewältigung des Virus wieder zurückgefahren werden. Wie schwierig die Frage ist, wie weit die Solidarität gehen soll, zeigt sich am Beispiel der aktuell zur Verfügung gestellten Tracking-App für Handys, mit der frühzeitig Infektionssituationen durch Aufzeichnung der Bewegungs- und Kontaktdaten transparent gemacht werden können. Eine solche App ist nur wirksam, wenn sie von vielen genutzt wird. Hier muss jeder Einzelne entscheiden, wie er damit umgehen will. Ein echter Prüfstein für Solidarität. Wenn man den 1. Mai schon zu Hause verbringt, kann man sich ja ein paar Gedanken zu dem Thema machen. Es leben die Solidarität – die richtige. (eh)